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Stiller Konsens – wie rechte Normalität entsteht

 

Ich möchte eine Geschichte von einer Gesellschaft erzählen, in der vieles sag- und machbar ist, was anderswo nicht vorstellbar wäre. Ich will diese Geschichte nicht verschweigen. Im Gegenteil: Es ist wichtig, dass gerade wir als Ostblog die Dinge klar benennen, die im Osten selbst oft nicht klar benannt werden (können).

 

Letztes Wochenende nahm ich acht Wegstunden auf mich, um zwei Tage gemeinsam mit meiner Familie zu verbringen – ein Adventswochenende, seit einigen Jahren Familientradition. Mit der optimistischen Aussicht auf „wenigstens ein bisschen Schnee“ hatten wir eine Unterkunft im Osterzgebirge gebucht. Das Ferienhaus war wunderschön, wir hatten Spaß beim gemeinsamen Über-Wiesen-Laufen und Verzehren-Von-Leckeren-Dingen.

 

Wir besuchten ein Bergbaumuseum, in dem wir mehrere Filme über die Geschichte des Bergwerks ansehen konnten. Es wurde uns einen Film aus den 1940ern gezeigt, der sei ein absolutes Muss. Wir sollten ihn unbedingt ansehen, da der Film gut zeigt, wie hart damals im Bergbau gearbeitet wurde. Der Videotitel war in Fraktur, der Sprecher des Videos beschwor die Qualitäten des „deutschen Zinns“ für das „Vaterland“. Zuvor wurde uns ausdrücklich und mehrfach zu verstehen gegeben, dass der Film „mit Politik nichts zu tun“ hätte und wir ihn unbedingt ansehen müssten.

 

Das ist nicht normal. Es ist nicht normal, wenn Nazifilme über „deutschen Zinn“ in einem Museum gezeigt werden, ohne historische Einordnung, neben einem bunten Werbefilm der Urlaubsregion Altenberg. Natürlich gehört der Nationalsozialismus zur Geschichte des Bergbaus und damit in ein Museum. Aber ein Film der Nazis über ein Bergwerk, in dem potentiell Rüstungsgüter hergestellt wurden, ist das Gegenteil von unpolitisch. Das ist mangelnde und damit verantwortungslose Aufarbeitung. Ein Armutszeugnis für ein Museum, welches sich als Teil einer UNESCO-Welterbestätte versteht und sicher auch Geld aus dem regionalen Entwicklungsfonds der EU erhalten hat (wie so vieles in Ostdeutschland). Wie man im Museum später lernt, wird Zinn auch in der Herstellung von Munition verwendet. Wo diese zum Einsatz kam, steht nicht dabei.

 

Das Video, die Empfehlung – vielleicht war es Unüberlegtheit. Vielleicht war es ein unangenehmes, aber auch ein wenig lächerliches Erlebnis, welches nicht ernst zu nehmen ist. Vielleicht übertreibe ich, vielleicht falle ich meinen eigenen Vorurteilen zum Opfer. Aber ich habe trotzdem auch am Abend danach noch Bauchschmerzen beim Gedanken daran.

 

Dinge, die heute in anderen deutschen Museen unmöglich wären, werden als selbstverständlich gesehen und an die Gäste weitergegeben. Alltäglich wird auf den Nationalsozialismus verwiesen, er wird als unproblematischer Teil der deutschen Geschichte hingenommen. Das fühlt sich gruselig nach Normalität an, nach etwas, bei dem kein Widerspruch und nicht mal mehr Verwirrung beim Gegenüber erwartet wird.

 

Ich war wütend. Vor allem auf mich selbst, weil ich nicht reagiert habe und auch nicht gewusst hätte, wie ich reagieren sollte. Oder nein, wütend ist das falsche Wort. Sie hat mir wehgetan, diese Situation, so sehr, dass ich noch drei Tage später darüber nachdenke. Und es tut mir weh, wenn ich durch die Orte laufe, immer mit einem unguten Gefühl in der Magengrube, und nicht weiß, ob ich wegschauen oder genauer hinschauen soll, wenn jemand mit eindeutigem Jackenaufdruck vorbeiläuft oder schwarz gekleidete Gruppen junger Männer in den Straßen patrouillieren. Oder die lokale Gaststätte es für notwendig hält, sich die Zeile „Deitsch on frei woll'n mer sei!“ an die Wand zu nageln – die erste Zeile des „Erzgebirgslieds“, entstanden aus dem Heimweh des Autors während seiner Zeit in Prag und später und bis heute vereinnahmt durch alte und neue Nationalsozialisten.

 

Seit Jahrzehnten sind rechtsradikale und neonazistische Bewegungen im Erzgebirge fest verankert. Das oft beschworene Gegenmittel Zivilgesellschaft ist wenig vorhanden, Vereine sind von rechten Akteuren durchsetzt, ihre Netzwerke sind überall zu finden – in der lokalen Wirtschaft, in den Gemeinderäten, im Gastgewerbe, in Bands, Wandergruppen und Kampfsportturnieren. Die Gesellschaft besteht aus einer radikalisierten Jugend, einer wütenden Elterngeneration und sehr vielen sehr alten Leuten – ein Rezept fürs Desaster. Was macht das mit der „politischen Mitte“, mit den 50 Prozent, die auch im Erzgebirge nicht die AfD oder andere rechtsextreme Parteien wählen? Was macht das mit mir?

 

Es tut mir weh, weil ich meinen Urlaub genießen und Menschen unvoreingenommen begegnen will. Es tut mir weh, weil ich das Erzgebirge wunderschön finde, weil unser Wochenende auch sehr schön war, weil es auch meine Gesellschaft ist, die da von Rechten übernommen wird. Es tut mir weh, dass ich merke, wie mein Misstrauen wächst.

 

Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass es doch einfacher wäre, sich dieser innerlichen Zerrissenheit nicht mehr auszusetzen und einfach nicht mehr herzukommen. Das Privileg von einer, die Wohnorte in mehreren Ländern hinter sich hat und immer in den Zug zurück in die nächstgelegene Metropole steigen kann. Ich kriege Angst vor mir selbst. Die Frage aller Fragen der deutschen Geschichte, sie drängt sich einem genau dort auf. Dort, wo man rechtem Gedankengut im Alltag, im Beruf, im Sozialleben gegenübersteht, ohne Möglichkeit, sich konsequent abzugrenzen, immer und überall Stellung zu beziehen. Was hätte ich getan? Und ich weiß nicht, ob ich die Antwort auf diese Frage wissen will.

 

Vielleicht ist es deswegen einfacher, sich seine Meinung über Ostdeutschland aus der Ferne zu machen – weil man sich die Frage „Was hätte ich getan?“ gar nicht stellen muss. Weil es aus der Distanz immer komfortabler ist, zu sagen, „ich hätte Widerstand geleistet“. Aber es sind nicht die Ränder, die die extreme Rechte stark gemacht haben. Es ist damals wie heute die schweigende „bürgerliche Mitte“, die sie mitgetragen hat. Oder, um zur Gegenwart zurückzukehren, die die extreme Rechte so lange zum „Ostproblem“ erklärt, bis sie es auf einmal nicht mehr ist.

 

Und weil ich diese Geschichte hier eben auch für ein westdeutsches Publikum erzähle, möchte ich abschließend eine Sache sagen: Bitte macht es Euch nicht zu einfach. Bitte nutzt meine Erfahrung nicht zur Bestätigung Eurer Vorurteile. Ostdeutschland ist kein No-Go-Gebiet, keine Zone, die man meiden muss, um politisch und moralisch korrekt zu sein. Vielleicht wäre das hier eine Idee: Jedes Mal, wenn Ihr denkt, „da kann man ja nicht hingehen“, „wie kann man da leben“, „da sind ja nur Nazis“, spendet Ihr einen Euro an zivilgesellschaftliche Vereine oder Organisationen, Theater, Bibliotheken, soziokulturelle Zentren in Ostdeutschland. Sie können Eure Unterstützung gebrauchen. Eine Datenbank mit Ideen habe ich Euch unten verlinkt.

 

Hanna

 

 

Zivilgesellschaftliche Vereine und Organisationen, die sich für ein demokratisches und diverses Ostdeutschland einsetzen, findet ihr auf:

 

 
 
 

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