Dinge, die in Aachen zu mir gesagt wurden. Ein Plädoyer für mehr Austausch
- Eastplaining Blog
- 20. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Da mich die letzten Wochen eine noch nicht ganz abgeklungene Sehnenscheidenentzündung plagte, kommt nun (verspätet) nur ein kürzerer Beitrag, der dennoch, davon gehe ich aus, ganz amüsant wird. Ich habe mir nämlich überlegt, einmal zusammenzutragen, was in Aachen zu mir im Kontext “Osten” gesagt wurde, seitdem ich hier wohne, und wie sich meine Reflexion solcher Aussagen in den letzten Jahren gewandelt hat. Das hier ist keine Anklage, kein Angriff gegen einzelne Personen, sondern ein Plädoyer für - wie immer - mehr Kommunikation, mehr Austausch und mehr Bildung, und nicht zuletzt vielleicht etwas zum Schmunzeln. Viel Spaß!
Seit September, ganze zweieinhalb Monate, wohne ich nun in der Kaiserstadt. Viel weiter westlich hätte ich innerhalb Deutschlands nicht ziehen können. Bisher habe ich tatsächlich auch kaum ostdeutsch sozialisierte Menschen getroffen. Es gefällt mir hier sehr gut, und ich habe schon viele wunderbare Personen kennengelernt. Und manchmal fallen Sätze, bei denen sich mir früher etwas im Magen umgedreht hätte oder mir eventuell auch eine Ader auf der Stirn geplatzt wäre, die ich heute aber nutze, um in eine nette, konstruktive Diskussion einzusteigen.
Hier also ein paar Aussagen, die mich im Kontext meines “Ostdeutschseins” oder wie immer man es auch nennen will, erreicht haben (mit Kommentaren meinerseits versehen, die ich natürlich nicht so geäußert habe, aber zur Belustigung für diesen Blogbeitrag ergänzt habe):
“Wieso kannst du denn kein Russisch, wenn du in der DDR großgeworden bist?”
Ich, 2001 geboren, bin mir da auch unsicher. Wahrscheinlich hab ich im Russischunterricht nicht so gut aufgepasst.
“Lasst uns einfach die Mauer wieder aufbauen, außer Leipzig, Leipzig darf in Deutschland bleiben.”
Was ist “Deutschland”? Irgendwie spannend, dass jemand in meinem Alter diese Trennung immer noch vornimmt!
“Natürlich war ich schon im Osten, ich war in Berlin!”
Okay, cool, ich war auch schon mal im Westen. In Westberlin oder so.
“Ohje, tut mir leid, dass du aus Sachsen kommst, das muss wirklich schlimm da sein.”
Warst du schon mal da? Nein? Komisch, dass du dann so gut Bescheid weißt.
“Erfurt? Liegt das nicht an der Grenze zu Polen?”
Hm, nicht ganz.
“Erfurt? Südlich von Dresden, richtig?”
Dafür müsste man zwar die Himmelsrichtungen ändern, aber dann wäre es richtig.
“Immerhin ist es hier [NRW] nicht so schlimm wie im Osten.” [Im Hinblick auf die Kommunalwahlen in NRW im September)
Wartet ein paar Jahre ab, dann hat NRW die gleichen Zahlen wie Thüringen. Prozentual. Absolut sind wir längst da angekommen.
“Ist es wirklich so schlimm [in Erfurt/ Thüringen], wie man in den Nachrichten hört?”
Kommt drauf an, was genau du meinst…Probleme gibt es schon, wie es andernorts auch andere Probleme gibt. Aber das in einem Satz abzukanzeln, funktioniert nicht.
“Du kommst doch aus dem Osten, du müsstest die Kälte gewohnt sein.”
Da hat wohl jemand Thüringen mit Sibirien verwechselt.
Ich weiß genau, dass manche dieser Aussagen mich früher richtig geärgert und teils auch emotional angegriffen hätten. Aber mittlerweile nehme ich das viel mehr mit Humor und teils auch mit einer gesunden Portion Besorgnis, so in den Bereichen Geografie und Wahlergebnisse. Natürlich ist das hier nur eine AUSWAHL, und nichts davon geht hier gegen irgendwen, der*die eine dieser Aussagen getätigt hat. Es zeigt einfach nur, wie wenig Ahnung wir als Gesellschaft voneinander haben. Wahrscheinlich könnte man Leute in Görlitz zu Schleswig-Holstein oder dem Ruhrpott befragen und hätte ähnlich tragische Ergebnisse, wer weiß. Ich nutze die Gelegenheiten jedenfalls, um von meinem eigenen Leben, meinen Erfahrungen und teils statistischen Ergebnissen zu erzählen, und ich habe noch niemanden getroffen, der*die nicht bereit gewesen wäre, zuzuhören - und umgekehrt lerne ich hier genauso viel dazu. Natürlich kennt man seine eigene Gegend am besten, daran ist nichts Ungewöhnliches.
Trotzdem bemerke ich einen eklatanten Wissensunterschied, was bestimmte Bereiche angeht, so zum Beispiel in der Geographie (Erfurt an der Grenze zu Polen? Ernsthaft? :/). Außerdem halte ich es für wirklich problematisch, das “Rechtsruckproblem” pauschal in den Osten zu schieben - gerade nach der Wahl hatte ich einige solcher Gespräche - weil es eben einfach nicht der Realität entspricht. Rechtsradikale, Nazis und Menschen, die sie wählen und unterstützen, sind ein deutschlandweites Problem und keines einzelner Bundesländer, und erst recht verkürzt es die Darstellung, das auf fünf sehr dünn besiedelte Bundesländer zu verschieben. In NRW wohnen nun mal mehr Menschen als im gesamten “Osten”, das muss man sich vor Augen führen.
Insgesamt kann ich eigentlich nur dafür plädieren, sich mit Menschen zu unterhalten, ohne gleich nach dem ersten Satz eine Entscheidung über Sympathie oder Antipathie zu treffen. Es schadet wirklich nicht.
Weronika
P.S. Erfurt liegt in der Mitte Deutschlands. Kann man sich wirklich leicht merken.






Habe mal kurz hinter der Aachener Grenze gewohnt. Da gibt's dann auch wieder issis.
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