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Aktuell auf Kamera - Wilma will mehr

Aktualisiert: 20. Sept.

Wenn in den Bus-Bildschirmen einer (west)deutschen Großstadt Werbung für einen Film über die Lausitz gemacht wird, dann schaut man als Eastplaining-Bloggerin aus Görlitz genauer hin. Manchmal geht es dann so weit, dass man sich im Kinosaal wiederfindet, um ganz genau hinzuschauen. Ich habe mir letzte Woche „Wilma will mehr“ angeschaut, nachdem mich erst der MDR, dann die Süddeutsche Zeitung und dann auch noch ein Bus der Münchner Verkehrsgesellschaft darauf hinwiesen, dass dies unbedingt notwendig sei. Derartige Einstimmigkeit in den Feuilletons führte auch dazu, dass es nicht besonders einfach war, Karten für den Film zu bekommen, der nur an ausgewählten Tagen und zumeist in Programmkinos läuft. Entsprechend war der Kinosaal – um es mal umgangssprachlich auszudrücken – gerappelt voll.


Die Geschichte, die der Film erzählt, ist in Einfachheit bestechend. Wilma (Fritzi Haberlandt) ist in der DDR gelernte Maschinistin und zu Beginn des Films Verkäuferin in einem Baumarkt. Nach Jahren der Weiterbildungen, Arbeitsamtsbesuche und wechselnden Berufen verliert sie ihre Stelle und ihre Partnerschaft, als ihr Ehemann sie mit einer engen Freundin betrügt. So weit, so exemplarisch. Sie geht kurzentschlossen nach Wien, um sich dort mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten, schläft in Gartenlauben und Garagen und landet schließlich in der WG einer Literaturdozentin, in der sie erst mal sämtliche Elektronik repariert und über " diese Revolution“ ausgefragt wird.


Ich empfand den Film nicht (nur) als Ostgeschichte, sondern als Menschengeschichte, eine Darstellung davon, wie Menschen mit Veränderung umgehen. Eine Darstellung davon, wie (weibliche) Selbstfindung mit Ende 40 aussehen kann, wenn Yoga-Retreats, Backpacking oder persönliche Stiländerungen nicht drin sind, das heißt, wenn Selbstfindung nicht als Konsum verstanden wird. Der Film ist dokumentarisch, fast biografisch; an die wenigen Szenen, die von Musik begleitet sind, kann man sich auch noch nach dem Abspann erinnern. Sowohl die Erzählung als auch die filmische Umsetzung von Wilmas Geschichte wirken brüchig, mit Figuren, die nur kurz in Wilmas Leben auftauchen und wieder verschwinden. Wie seine Protagonistin selbst erlebt der Film ständige Veränderung.


Auf den ersten Blick wirken die Figuren nach Klischee – Wilma, die Alt-DDRlerin mit Praxiserfahrungen in Instandhaltung und Marxismus, die in eine großstädtische WG hineingerät, in der aus Erstlingswerken gelesen und die Theorie des Marxismus debattiert wird. Dies wird aber aufgefangen von der gleichzeitigen Darstellung vieler alltäglicher Personen, mit denen Wilma in Kontakt kommt.


Wilma wirkt oft rau, kantig, abgehärtet, aber keinesfalls verhärtet oder emotionslos, was der schauspielerischen Leistung ihrer Darstellerin zuzuschreiben ist. Sie schafft es, in ihrer Figur das zu vereinen, was als „Stärke“ und als „Schwäche“ in einem Menschen gelesen wird. Ich hatte teilweise das Gefühl, von Personen im Film an Menschen in meinem eigenen Leben erinnert zu werden. Hier ist Regisseurin Maren-Kea Freese ihre Erfahrung im Dokumentarfilm zugute zu halten – und auch die zahlreichen biografischen Interviews, die sie zur Vorbereitung auf den Film mit Menschen aus der Lausitz führte. Bitte mal herschauen: so macht man Aufarbeitung richtig.


Der MDR nennt den Film einen „Heimatfilm“ und ich kann verstehen, warum. Heimat ist ein wichtiges Motiv, denn der Film geht schonungslos ehrlich damit um, dass es unmöglich ist, Heimat voll und ganz zurückzulassen – und sei es, um in Wien einen Ost-Abend mit Kartoffeln und Quark, Tagebau-Fotos und Sag mir, wo du stehst durchzuführen, weil die neuen Mitbewohner*innen sich dafür interessieren. Heimat wird allerdings nicht idealisiert, sondern immer auch mit kritischer Distanz betrachtet. Ich habe im Kinosaal an anderen Stellen gelacht als der Rest des Publikums; vielleicht ist das auch etwas, was Heimat mit dir macht.


Statt die Geschichte in den Westen zu verlagern, bietet Österreich als neutraler Grund eine Verhandlungsbasis an, der verhindert, dass in Klischees und wiederaufgewärmte Vorwürfe verfallen wird. Im Film wird nichts ausdiskutiert, es besteht keine Notwendigkeit, Standpunkte zu beziehen, und manche Aussagen der Figuren dürfen einfach stehen bleiben, wie sie gesagt werden. Dadurch schafft es das Drehbuch, verschiedenen Perspektiven Raum zu geben, ohne endgültig zu klären, was jetzt genau „richtig“ und „falsch“ ist. Die Hierarchien von Ost und West, Kapitalismus und Sozialismus, Stadt und Land werden aufgelöst, das offene Ende tut sein Übriges. Eine Taktik, von der sich ruhig andere Medienschaffende etwas abschauen könnten, wenn es nach mir ginge.


Der Film wirkt dokumentarisch, aber es ist kein Dokumentarfilm, keine Geschichtsstunde, und das muss er auch nicht sein. Die Prozesse, die in den 90ern in (Ost)deutschland abliefen, sind zu komplex, als dass sie in einem einzigen Film aufgearbeitet werden können, der zudem biografisch angelegt ist. Und dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Die Geschichten von Frauen wie Wilma bleiben bis heute weitestgehend unerzählt. In Zeiten, in denen die Lebensleistungen genau dieser Generation politisch immer noch geringgeschätzt werden (siehe hier, hier und hier), sollte Wilma ihre Bühne (oder in dem Fall ihre Leinwand) für sich beanspruchen dürfen.


Hanna




 


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