Frauenporträts. Katholische Theologinnen aus der DDR erinnern sich
- Eastplaining Blog
- 1. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Vor vielen, vielen Beiträgen habe ich einmal versprochen, einen Text über ostdeutsche Probleme der Selbstvermarktung zu schreiben. Auch diesmal habe ich das nicht vor. Stattdessen werde ich mich darin versuchen, eines meiner eigenen Projekte selbst zu vermarkten.
Zwischen 2023 und 2024 war ich sehr damit beschäftigt, gemeinsam mit Marlen Bunzel, zu dieser Zeit Gastprofessorin für Biblische Theologie in Berlin, ein Buch zu schreiben, das nun im März 2025 endlich erschienen ist. Da es sich um ein Werk mit DDR-Bezug handelt, erscheint es nur richtig, es in unserem Blog einmal vorzustellen. Ich möchte hier keine Rezension verfassen (das wäre als Mitautorin auch etwas problematisch) und nicht detailliert den Inhalt wiedergeben, sondern vielmehr beschreiben, wie ich den Prozess des Schreibens und nun die Rezeption des Buches empfunden habe, da ich der Meinung bin, dass – unter anderem – in gerade solchen Formaten die Zukunft einer gesellschaftlichen Verständigung liegt: zwischen Generationen, Ost und West, kirchlich und säkular.
„Frauenporträts – Katholische Theologinnen erinnern sich“ enthält als Herzstück 16 lebensgeschichtliche Interviews mit Frauen, die zur DDR-Zeit in Erfurt Katholische Theologie studiert haben. Das war eine Besonderheit: Als die DDR-Regierung 1952 (durch eine interne Fehlabsprache, übrigens) die Genehmigung für das Philosophisch-Theologische Studium als rein kirchliche Stätte mit dem Status einer Akademie, nicht jedoch einer Hochschule, allein zur Priesterausbildung erteilte, war an ein Studium von Frauen nicht zu denken. Die ersten Jahre waren von großer Unsicherheit und Unklarheit geprägt. Außerdem war es auch in der Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit nicht besonders üblich, dass Frauen Katholische Theologie studierten: wozu auch? Priesterinnen durften (und dürfen) sie ja schließlich nicht werden. In den späteren 1950er Jahren wurde jedoch klar, dass es immer schwieriger werden würde, geschultes Fachpersonal aus dem Westen für die kirchlichen Ausbildungen in der DDR einreisen zu lassen. Zu diesen Ausbildungen zählten unter anderem die zu kirchlichen Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern und Fürsorgerinnen – ein Deckname für Sozialpädagoginnen, die es natürlich in einem funktionierenden sozialistischen Staat nicht geben durfte – sowie die Seelsorgehelferinnen. Auch in den Orden, den Klöstern, wurde geschultes Personal für die Ausbildung des Nachwuchses benötigt. So begannen 1960 Überlegungen, auch Frauen zum Philosophisch-Theologischen Studium, dieser kirchlichen „Hochschule“, zuzulassen, um eigenes wissenschaftlich geschultes Personal zu haben. Doch zunächst überwogen juristische Bedenken: Die Berliner Bischofskonferenz, bestehend aus den Bischöfen in der DDR, wollten die Priesterausbildung nicht gefährden, was aber durch die Zulassung von Frauen zu einer reinen Priesterausbildungsstätte möglicherweise der Fall gewesen wäre. Erst 1962 erfand man das „Edith-Stein-Seminar“ als Konzept, bei welchem die Frauen lediglich als Gasthörerinnen immatrikuliert wurden und zunächst nur drei Jahre lang studieren sollten, um eine wissenschaftliche Weiterqualifizierung zu erhalten. Alle Frauen mussten bereits in kirchlichen Berufen tätig sein und von ihrem zuständigen Ortsordinarius, einem Bischof, zum Studium delegiert werden. So begann 1962 ein Experiment: sieben Frauen begannen mit dem Studium, die meisten von ihnen schon Mitte oder Ende 20. Sie wohnten zunächst im Ursulinenkloster, dann im Marienstift in Erfurt und hatten keinen eigenen Schlüssel. Bis 1992 veränderten sich die Bedingungen des Studiums, ab den 1970er Jahren absolvierten auch immer mehr Frauen das „volle“ Theologiestudium und erhielten ein kirchliches Diplom sowie nach 1990 die staatliche Anerkennung. Doch den Frauen der ersten Kurse wurde dies nicht zuteil. Die allermeisten blieben nach ihrem Studium im kirchlichen Bereich, wo ihnen wechselhafte Anerkennung zuteilwurde.
Wir haben mit 16 Frauen gesprochen, die zwischen 1962 und 1992 in Erfurt Theologie studiert haben. Einige von ihnen haben zwei Jahre lang studiert, andere drei oder viereinhalb. Manche von ihnen sind Ordensfrauen, viele waren Seelsorgehelferinnen, nur drei haben geheiratet und Kinder bekommen. Ein ungeschriebenes Gesetz legte den Zölibat auch Frauen im kirchlichen Dienst sehr nahe. Insgesamt haben etwa 58 Frauen in diesem Zeitraum am Philosophisch-Theologischen Studium studiert.
Doch worin sehe ich nun die Bedeutung des Formats? Marlen Bunzel und ich haben neben meiner Archivarbeit 16 Frauen aufgesucht, um mit ihnen über ihr Leben zu sprechen. Diese Gespräche dauerten meistens um die zwei Stunden. Dabei fokussierten wir uns auf vier Teile: Wie war die familiäre Prägung der Frau, wie war sie aufgewachsen und wie war ihre Zeit vor dem Theologiestudium verlaufen? Wie empfand sie die Zeit ihres Theologiestudiums? Wie ging es danach für sie weiter? Und was erlebte sie nach 1990? Im Prozess der Erzählung – oft schon in der initialen Reaktion auf unsere Anfrage – zeigte sich häufig, dass keine der Frauen jemals damit gerechnet hatte, einmal nach ihrer Lebensgeschichte oder ihrem Theologiestudium gefragt zu werden. Wir wurden an Maxie Wander erinnert, eine österreichische Autorin in der DDR, die das Buch „Guten Morgen, du Schöne. Protokolle nach Tonband“ herausgab, in welchem sie – in ihrem Fall anonym – Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlichster Kontexte zu Wort kommen lässt. Sie schrieb dazu: „Ich halte jedes Leben für hinreichend interessant, um anderen mitgeteilt zu werden.“ In unserem letzten Beitrag schreibt Hanna darüber, welche immense Bedeutung Begegnungsformate wie das zwischen Görlitz und Aachen haben. Während des Entstehungsprozesses des Buches ging mir immer wieder durch den Kopf, dass es das ist, woran es unserer Gesellschaft oftmals fehlt: Echte Begegnungen und tiefergehende Gespräche. Als solche habe ich die Treffen mit den Theologinnen wahrgenommen. In den Monaten seit der Veröffentlichung haben wir ähnlich empfindende Rückmeldungen von Leser*innen erhalten. Außerdem durften wir in zwei Buchvorstellung in einen sehr guten Austausch mit einigen der Zeitzeuginnen und interessiertem Publikum treten. Das alles hat mir noch mehr bewusst gemacht, dass es auch solche Formate sind, mit denen tatsächlich etwas bewegt werden kann.
Weniger Übereinander reden. Vielleicht in manchen Fällen auch: weniger reden. Mehr direkter Austausch. Mehr Zuhören. Das habe ich aus diesem Buchprojekt gelernt.
Nun kann ich nicht umhin, die Lektüre zu empfehlen – ich finde, es ist wirklich ganz gut gelungen. (Und aus dem Erlös erhalten wir als Autorinnen 0,00€, es ist also gar nicht Eigenwerbung im großen Stil). Und vielleicht ist es für jegliche weiteren wissenschaftlichen Analysen der Thematik wichtig, zunächst einmal tiefergehend auf die einzelnen Menschen geschaut zu haben. Geschichte wird schwierig, sobald über eine Zeit berichtet wird, an die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sich noch erinnern (oder zu erinnern glauben). Aber das macht die Auseinandersetzung mit ihnen nicht weniger kostbar. Es ist spannend, zu sehen, wie Menschen sich erinnern und worüber sie sprechen – auch, worüber nicht. Also, herzliche Einladung zum Lesen! Und ich kann nur empfehlen, Menschen nach ihrer Lebensgeschichte zu fragen, ob nun aus Ost oder West. Es lohnt sich.
Weronika
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